Moin zusammen!
Es begab sich zu der Zeit im Jahre des Herrn 2023, als ich an einem unserer Forentreffen teilnahm und ein Herr Ralf, der Rabe einen Vortrag über Erzähltheorie nach Stanzl hielt, Schwerpunkt Erzählperspektiven.
Das war die Vorbereitung für die Geschichte Zeugenaussage Elfriede Gerstenacker, die aus der entsprechenden Schreibübung hervorgegangen ist.
Heute ist ChatGPT außer Betrieb. Also müssen wir mit den kümmerlichen Resten in meiner Gedächtnismurmel vorliebnehmen. 😉
Das typologische Modell der Erzählsituationen wird auch in der Wikipedia beschrieben. Dort findet sich auch eine Grafik, die den Typenkreis nach Stanzl zeigt.
Ein Kurzüberblick
Hier dürft ihr jetzt das „Tafelbild“ unseres Ralfs bewundern.

Der sogenannte Ich-Erzähler ist der in der 1. Person. Es kann sich um ein erlebendes Ich handeln oder um ein erzählendes. Der Unterschied besteht in dem Wissen, das das Ich hat. Erzählen kann das Ich nur rückblickend, nachdem es etwas erlebt hat. Dabei können dann auch Vorausdeutungen gemacht werden, etwa „später sollte sich herausstellen, dass …“
Die in der Prosa selten verwendete 2. Person, bei der die Leserschaft mit „du“ oder „ihr“ direkt angesprochen wird, findet sich vor allem in literarischen Briefen, aber nicht nur.
In der 3. Person haben wir drei Erzähler: Der allwissende bzw. auktoriale Erzähler, der personale Erzähler und der neutrale Erzähler. Letzterer hat kaum Bedeutung, daher gehe ich nicht näher darauf ein. (Okay, erwischt: Habs auch vergessen.)
Der allwissende Erzähler ist eben im Unterschied zum personalen Erzähler allwissend. Während der personale Erzähler beschränkt ist auf das Wissen der Figur, aus deren Sicht erzählt wird, weiß der auktoriale Erzähler alles, was vorher war und nachher sein wird, kann in alle Köpfe reinschauen und quasi aus der Vogelperspektive erzählen, wodurch der Erzähler spürbar wird. Wir kennen das zum Beispiel aus Märchen. Das hat Vor- und Nachteile.
Wo anderen Autor:innen Head-Hopping vorgeworfen wird, ist man mit dem auktorialen Erzähler fein raus: Hier darf man das. Man sollte es trotzdem nicht übertreiben.
Wählt man die 2. Person, ist man am nächsten an der lesenden Person dran. Bereits mit dem Ich-Erzähler hat man mehr Distanz. Mit dem personalen Erzähler wiederum erreicht man mehr Nähe als mit dem auktorialen. Nicht immer ist nächste Nähe die erste Wahl. Für manchen Stoff ist es ganz gut, etwas Distanz einzuhalten, damit er nicht zu schwer wird.
Die Tabelle unten links kann ich leider nicht mehr dechiffrieren, kann das eine Wort nicht lesen. ^^
Welcher Erzähler ist der Richtige?
In meinen Geschichten verwende ich meistens den personalen Erzähler, weil ich sehr dialoglastig schreibe und diesen „Erzähler aus dem Off“ nicht mag. Mir fällt es leichter, auf die Figuren von außen draufzuschauen und gleichzeitig die Geschichte mit ihren Augen zu erleben.
Ich klopfe allerdings nicht jedes Szene auf Merkmale ab, um hinterher sagen zu können, da hab ich aber einen unzuverlässigen Erzähler … eigentlich ist mir das herzlich egal. Dieses ganze schreibtheoretische Denken blockiert mich nur und ich muss danach wieder ein Schreiben gegen die Zeit mitmachen, um ins kreative Schreiben überhaupt wieder hineinzufinden.
Trotzdem finde ich es wichtig zu wissen, welche Erzähler sich für welche Geschichten eignen.
Schreibe ich eine Geschichte über zwei Figuren, die dasselbe Pronomen verwenden, dann würde ich mich für den Ich-Erzähler entscheiden, weil er-sie-Dialoge leicht von der Hand gehen, er-er genauso wie sie-sie aber total mühsam zu schreiben sind.
Der Nachteil ist dabei dann, dass das Gender des Ichs in Vergessenheit gerät – mir persönlich fällt es dann jedenfalls schwer, das Ich überhaupt körperlich wahrzunehmen, wenn es nicht auch von außen beschrieben wird.
Bei einem Krimi ist es besonders wichtig, wer was weiß und was davon der Leser wann erfährt. Hier bin ich mit dem Ich-Erzähler sehr eingeschränkt, wenn ich nicht auf den oben genannten Kniff mit der Erzählung aus der Rückschau zurückgreifen will, wobei im Prinzip der Ich-Erzähler als allwissender Erzähler fungiert.
Beim Verfassen einer Autobiografie ist selbstredend der Ich-Erzähler die beste Wahl, wogegen er sich bei einer Biografie verbietet, da diese in der 3. Person verfasst wird.
Wenn du also jetzt vor der Entscheidung stehst, für einen noch zu schreibenden Roman den richtigen Erzähler zu wählen, dann gibt es dazu verschiedene Ansätze.
Plottest du deinen Roman komplett durch, dann kannst du nach der Funktion und den schreibtechnischen Eigenschaften wählen, welche Erzählform dir am meisten Vorteile bietet.
Gehörst du zu den Pantsern, dann ist mein Rat, eine Kurzgeschichte mit den beiden Hauptfiguren zu schreiben und auf dein Bauchgefühl zu hören.
Hast du eine konkrete Frage zu deiner Geschichte?
Dann schreib sie hier unten in die Kommentare!
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Euer Ingo S. Anders

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