Januar 20, 2025

Saigels Irr(e)lichter – Das Schreibselbstbewusstsein

Von unserer Autorin Saigel

Das Schreibselbstbewusstsein. Eine Größe im Leben eines jeden Autors, ein Faktor, eine Variable und (hoffentlich) irgendwann einmal ein Ergebnis. Ständig ändert es sich, schwingt innerhalb eines Tages von einer Million auf minus Tausend und schnellt mit dem nächsten Wort wieder rasant in den Plusbereich. Es macht uns sowohl müde und verzweifelt als auch stark und motiviert.

Das Schreibselbstbewusstsein … es ist ein Phänomen. Ein unbändiges Tier, das sich entweder brav von uns kraulen oder uns tagelang im Regen stehen lässt.

Es zu bändigen habe ich bis heute nicht gelernt. Ebenso wenig konnte ich es zähmen oder die immensen Aufs und Abs zu kleineren, weniger verheerenden Schlägen überreden. Es erfasst mich noch immer genauso hart und unvorbereitet wie vor über zehn Jahren, als ich anfing zu schreiben. Sitze ich, mir die Ohren zuhaltend und die Augen verschlossen unter einer großen Welle, die tosend über mir zusammenzubrechen droht, erkenne ich selbst nicht einmal den Fortschritt, den ich bereits zu verzeichnen, die schönen Kritiken, die ich bekommen habe. Die Welle ist dieselbe, sie hat sich nicht verändert, sie macht weder halt vor schönen Anfängen noch vor beendeten Werken, die Zeugnis für tausende von Arbeitsstunden sind.

Das mag jetzt auf den ersten Blick trostlos klingen, jedoch habe ich gelernt, dass die Tiefschläge genauso wichtig sind wie das Hochgefühl. Wie viele herausragende Schriftsteller wollten in ihrem Leben ihre Manuskripte verbrennen? Gott sei Dank, haben sie sich nicht unterkriegen lassen, sich aus den Wassermassen erhoben und einfach weitergemacht. Besser. Bemühter. Überlegter.

Das Schreiben ist für mich ein Prozess. Eine Geschichte entwickelt sich nicht innerhalb von ein paar Wochen. Sie arbeitet in uns, schlägt Wurzeln und Blüten. Das braucht Zeit und Geduld. Stehe ich am Ende meiner Überlegungen, liegen vielleicht fünf Jahre zwischen dem Schluss und der Anfangsidee. Das ist oftmals ein guter Zeitpunkt für das Schreibselbstbewusstsein, unterzutauchen. Denn genau dann stelle ich fest, dass ich mich mit dem Anfang meiner Geschichte nicht mehr identifizieren kann, sie sich also wie aus fremder Hand liest, da der Fortschritt, den ich mir über die lange Zeitspanne erarbeitet habe, meine Texte verändert hat. Genauso begreife ich, dass die Handlung nicht ideal verläuft und der Anfang auf den weiteren Hergang der Geschichte nicht mehr passen will.

Die Erkenntnis, dass der Anfang im besten Fall noch einmal komplett überarbeitet und im schlechtesten Fall neu verfasst werden muss, drückt mich dann nieder, lässt mich den Text vergraben, ihn vergessen. Das Potenzial, das darin steckt, sehe ich nicht mehr, in meiner Erinnerung klingt jedes Wort schief, jeder Satz ungelenk und jedes Kapitel zusammenhangslos.

Doch dann, mit der Zeit, kehrt es zurück, das Schreibselbstbewusstsein. Schmiegt sich versöhnlich an mich, lockt mich mit zarten Gesten in das Versteck, wo meine Texte schlummern und lässt mich neugierig einen davon herausziehen. Beim Lesen setzt es sich auf meinen Schoß, hört meinen Gedanken zu, erfüllt mich mit einem eigenartigen Hochgefühl und lässt mich dann endlich wieder laut sagen: „Mensch, das ist ja doch gar nicht so schlecht!“

Frohes Schreiben!

Eure Saigel

Beitrags-Bild von Edar auf Pixabay

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