24. April 2025

Feedback: Geben und Nehmen

Schwarzer Text auf weißem Grund: Ingos Autorenwissen. Unten rechts in der Ecke das Markenzeichen von Ingo S. Anders: eine Schildkröte, auf deren Rücken ein Vogel sitzt.

Moin zusammen!

Beim letzten Mal ging es beim Autorenwissen um die 7-14-7-Übung an sich am Beispiel von Am Telefon. Diesmal will ich euch am Beispiel von Ich könnte das ja nicht den Aspekt des gegenseitigen Feedbacks nahebringen, der bei dieser Übung den Schwerpunkt bildet.

Wer das Schreiben erlernen will, wird nicht darum herumkommen, sich immer wieder Rückmeldungen von Lesenden dazu einzuholen, um den Text zu verbessern. Bei Fingerübungen mache ich das von Text zu Text, Geschichten für Veröffentlichungen überarbeite ich mehrmals. Zuerst frage ich andere Schreibende, dann das Lektorat, schließlich Bloggende und zuletzt sind es dann diejenigen, die das Buch gekauft haben, die es für andere bewerten.

Bei unserer Schreibübung 7-14-7 werden alle Texte von den anderen Teilnehmenden kritisiert, ich lerne also Kritik anzunehmen, aber auch wie man eine wohlwollende Kritik äußert. Denn negative Kritik, die gar persönlich wird, hilft niemandem. Das bedeutet aber auch nicht, dass alles über den grünen Klee gelobt werden soll – dafür haben wir das Schreiben gegen die Zeit.

Feedback von Schreibenden ist anders als das von Lesenden

An einem „Oh, wie schön!“ oder „Der ist aber gemein zu ihr!“ oder „Bei x musste ich an y denken“ kann ich schreiberisch nicht wachsen.
Anders als bei einer Rezension eines Lesers, der ein Buch gekauft hat, steht hier nicht der persönliche Geschmack im Fokus und ob die Lektüre gefallen hat.

Hier geht es um schreibhandwerkliche Schwächen des Textes – wie kann dieser verbessert werden? Dazu ist natürlich wichtig, dass ich als Verfasserdazu Angaben mache, welche Art Rückmeldungen ich wünsche, denn sonst kann man mir schlecht helfen. Hinweise auf Rechtschreibfehler brauche ich im Schreib-Forum zum Beispiel gar nicht, das mache ich im allerletzten Bearbeitungsschritt.

Die Aufgabe bei der Übung, aus der Ich könnte das ja nicht entstanden ist, lautete wie folgt:

Ein Protagonist steht im Rahmen einer Geschichte nur selten völlig isoliert, sondern interagiert mit anderen Figuren. Einige davon mögen den Protagonisten, andere nicht.
Eure Aufgabe ist es nun, den Prota auf zwei Weisen darzustellen: aus Sicht einer Person, die ihm nahesteht, und aus Sicht von jemandem, der ihn nicht leiden kann. Es ist nicht wichtig, warum die Figuren den Prota mögen bzw. nicht mögen (es sei denn natürlich, Ihr möchtet das in die Betrachtung einflechten), sondern nur darum, wie stark sich die beiden Bilder voneinander unterscheiden.

Textlänge
mindestens 200 Wörter pro Sichtweise, d.h. mindestens 400 Wörter insgesamt

Ich lege später, wenn es um die Bewertung der Geschichten für die Abstimmung geht, auch immer Wert darauf, wie gut die jeweilige Aufgabenstellung umgesetzt worden ist.

Wie ich selbst meinen Text kritisieren würde

Kommen wir zurück zu Ich könnte das ja nicht und den Figuren darin.

Das hier war meine Frage an die anderen:

Habe das Gefühl, diesmal an der Aufgabe vorbeigeschrieben zu haben.
Ich habe versucht, hier vordergründig Jürgen und seine Hilfeleistung in unterschiedlichem Licht erscheinen zu lassen, aber da (beide) ja auch selbst agieren, zeigt sich natürlich auch Martin selbst anders, als er von Jürgen beschrieben wird. Wirkt er uneinsichtig?
Der zweite Teil ist mir eig zu sehr Monolog, aber ich habe schon doppelte Mindestlänge und wollte es nicht noch mehr aufbauschen. Wichtig war mir, herauszustellen, dass ungebetene/aufgezwungene Hilfe eben nicht hilfreich ist.
Wie schlimm isses? 😀

Tun wir mal so, als wäre es ein fremder Text und ich würde nun meinen Senf dazu abgeben.

Etwa so würde meine Antwort ausfallen:

Hallo Ingo,

du weißt ja, dass ich immer sehr streng damit bin, ob ihr die Aufgabenstellung einhaltet.

Leider gibt es deshalb einige Punkte Abzug bei der B-Note, denn wie dir schon selbst aufgefallen ist, hast du zwei Figuren sich gegenseitig betrachten lassen, während die Aufgabe lautete, jeweils durch die Augen einer Figur, die den Prota mag und einer anderen, die den Prota nicht mag, zu blicken.

Trotzdem ist es dir gelungen, im zweiten Teil jeweils ein anderes Licht auf die beiden Hauptfiguren zu werfen. Dein Jürgen stellst sich selbst als strahlender Held dar und wird erst von seinem Partner Martin in der zweiten Szene entlarvt. Dadurch ist eine schöne, runde Geschichte mit einem tollen Twist entstanden.


Das Wort Ableismus ist vermutlich nicht jedem geläufig, vielleicht könntest du einen Kontext schaffen, der das noch besser erklärt.


Pflegestufe ist übrigens nicht mehr der korrekte Begriff, die Stufen wurden von Pflegegraden abgelöst. Da du aber ja kein Sachbuch schreibst, kannst du es gern so lassen, denn viele sagen immer noch Pflegestufe, vor allem diejenigen, die schon lange vor der Einführung der Pflegegrade mit dem Thema in Berührung gekommen sind, das ist also absolut glaubwürdig. Vermutlich werden aber diejenigen stolpern, die erst neu damit konfrontiert und mit dem alten Begriff noch nicht vertraut sind.

Ich empfinde den zweiten Teil nicht als zu monologisierend. Allerdings vermisse ich insgesamt Rahmenhandlung. Man sieht fast nur schwebende Köpfe. Du weißt, was das heißt. 😉

Wenn du dir die Zeit nehmen möchtest, diese Geschichte zu überarbeiten, dann bau das gerne aus. Ich denke, es lohnt sich! Diese fehlende Kommunikation zwischen Angehörigen und Betroffenen ist ein wichtiges Thema.

Ich versuche die Autor:innen immer da abzuholen, wo sie gerade stehen, und sie nicht gleich zu überfordern. Ich möchte motivieren und nicht demotivieren. Vor allem kritisiere ich den Text, nicht den Menschen, der ihn verfasst hat.

Manchmal ist das schwer zu trennen; es fasst einen emotional an, wenn man Kritik annehmen muss. Meine Figuren sind doch irgendwie ein Teil von mir …

Doch auch da macht Übung den Meister. Irgendwann lernt man: Die Leute, die am härtesten mit einem ins Gericht gehen, meinen es am wenigsten böse mit einem. Denn an ihnen wächst man am meisten. Vernichtende Verrisse mal ausgenommen, ich meine sachlich-konstruktive Kritik.

Mitunter nehme ich mir auch die Zeit, sehr ausführlich Satz für Satz zu kommentieren und schreibhandwerkliche Grundregeln zu erläutern. Da freue ich mich dann, wenn die Texte auch wirklich überarbeitet werden oder ich an den folgenden Texten sehe, dass das Wissen aufgenommen und hier anders umgesetzt wurde.

Also, wenn du auf der Suche nach Feedback zu deinen Texten bist, um dich schreibhandwerklich weiterzuentwickeln, und du dafür bereit bist, deinerseits Feedback zu geben, dann komm gern zu uns ins Schreib-Forum.

Euer Ingo S. Anders

Meine Webseite: ingoschreibtanders.blog
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Ingo S. Anders

Ingo S. Anders – der Name ist Programm: Ingo schreibt anders. Mal hart, mal zart, oft queer, meist kurz. Und immer aus dem Bauch raus. Kurze Geschichten sammelte der Hamburger in seinem Debüt »Tobaksplitter«. Zuletzt beteiligte er sich an der Benefiz-Anthologie »Erzählte Welten – Texte aus dem Schreib-Forum« zugunsten der Nothunde La Mancha e.V. In seiner Freizeit entspannt Ingo sich beim Singen.

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